[HBF] Re: Kein Schiff wird kommen!
Hubert Hanghofer
hhanghof at netbeer.co.at
Sam Jul 13 22:22:28 CEST 2002
Liebe Braugemeinde,
Hallo Tobias,
Am Freitag, 12. Juli 2002 14:05 schrieb Tobias Kandler:
> Hubert schreibt in seinem Buch über das Lambic, daß die ursprüngliche
> Hefegabe so gehandhabt wurde, daß die Kühlschiffe mit der heißen Würze in
> die Flußauen eines bestimmten Flusses in Belgien gestellt werden (wie macht
> man so etwas ?) und dort während der Kühlung diese Brettanomyces-Hefen und
> Mikroorganismen aufnehmen, die dann besagtes Lambic produzieren.
...so war das aber nicht gemeint! Danke für Deine Interpretation, zeigt mir
wieder mal, wie leicht Sachverhalte missverstanden werden, wenn Sie nur kurz
und oberflächlich erklärt werden (z.B. weil ein Seitenlimit des Verlags
rigorose Kürzungen erforderlich macht ;-)
Ich schrieb auf Seite 108: "...Die heiße Würze wird in offene Kühlschiffe
ausgeschlagen und nimmt über Nacht eine Vielzahl von Mikroorganismen auf, die
angeblich nur im Tal des Senne-Flusses vorkommen..."
Was heißt das nun?
Kühlschiffe sind keine Boote, sondern flache Wannen, die meist am Dachboden
eines Sudhauses angeordnet sind. Die heiße Würze wird beim Ausschlagen
dorthin gepumpt, plätschert in breit gefächertem Strahl hinein, breitet sich
aus und kühlt durch die große Oberfläche ab -- eine Art Luftkühlung also.
Noch vor 100 Jahren war Stand der Technik:
Ausschlagen auf's Kühlschiff, Luftkühlung bis 70°C, dann ablaufen lassen über
den offenen Berieselungskühler in den offenen Gärbehälter.
So wird in einigen wenigen Traditionsbrauereien zwar heute immer noch gebraut
(z.B. Augustiner Bräu, Mülln -- Salzburg), allerdings sind nun geschlossene
Plattenwärmetauscher Stand der Technik.
Ob es in belgischen Lambicbrauereien Zusatzkühlung gibt, kann ich nicht genau
sagen, aber sicher wird die Hauptkühlung ausschließlich im Kühlschiff
durchgeführt -- dafür über längere Zeit (über Nacht) und mit Unterstützung
durch Ventilatoren, die Umgebungsluft über Kanäle ansaugen und auf die Würze
blasen.
Was die Animpfung mit Mikroorganismen betrifft, kann man davon ausgehen, dass
diese indirekt erfolgt: Das heißt, die Mikroflora aus der Umgebung
(Senne-Tal) reichert sich an bestimmten Stellen innerhalb der Brauerei an und
wird hauptsächlich von dort aus an die Lambicwürze übertragen:
Belüftungsschächte, Kellergewölbe und vor allem auch die hölzernen
Gärbottiche bzw. Fässer sind die primären Überträger.
So nisten sich Brettanomyces Hefen mit Vorliebe in Holz ein. Biere die in
Behältern aus unbehandeltem (ungepichtem) Holz reifen, weisen meist einen
mehr oder weniger ausgeprägten Brettanomyces Charakter auf. Manche
Mikrobiologen würden viel dafür geben, wenn sie Zugang hätten zum alten
Eichenbottich in der Guinness Brauerei, der angeblich noch auf Sir Arthur
Himself zurückgeht und zum Reifen des "Stammstouts" dient, das nach
Pasteurisation an alle Lizenzbrauereien versendet wird und dort nach
Zumischung von 3% für einen authentischen Hausgeschmack sorgen soll.
> Warum ich das erzähle ? Ich bastel hin und wieder mal etwas an einem
> mittelalterlichen Freiberger Bierrezept. Meine Idee war nun, statt einer
> german Ale-Hefe einmal wilde Hefen für die Gärung zu verwenden. Hat da
> einer Erfahrung ? Wie kriegt man heraus an welcher Stelle in der Natur
> draußen besonders viel wilde Hefen (und vorteilhafterweise auch wenig
> Schimmelpilze) zu finden sind?
> Vielleicht entwickelt sich daraus ja ein eigener Hefestamm - mit regionaler
> Besonderheit ! ;-)))
Interessantes Projekt, aber sehr risikoreich, solange sich keine
Brauhaus-Mikroflora angereichert hat. Andererseits -- wenn das einmal
passiert, wird das Brauen von normalen Bieren zum Glücksspiel: Wer gewinnt
das Wettrennen? --Die Kulturhefe, Lactobazillus Tobiasi oder vielleicht doch
Brettanomyces Freibergii?
Schimmelpilze werden jedenfalls nicht das Problem sein. Die benötigen viel
Sauerstoff und der wird ihnen vorenthalten, sobald eine Gärung eingesetzt
hat. Gefährlich ist eher ein Überhandnehmen von Milchsäurebazillen.
Lambicwürzen werden aus Schüttungen mit 1/3 Rohweizen gewonnen und sind daher
vergleichsweise arm an Aminosäuren. In einem schwierig verdaubaren Medium
kann kein Mikroorganismus rasch über die anderen dominieren, alle haben gute
Chancen und die besser angepassten werden einen höheren Anteil zum
Geschmacksprofil beisteuern können. So wird auch bei der traditionellen
Lambicbrauerei nur im Winter gebraut. Die Aktivität der kälteempfindlichen
Lactobazillen wird dadurch eingeschränkt und beherrschbar.
Wie dem auch sei -- ich wünsche Dir jedenfalls das Beste: Mögen sich
Mikrobiologen in 100 Jahren um Deinen Gärbottich streiten!
Bis dahin allzeit gut Sud!
Hubert Hanghofer
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