[HBF] Mikroben-Phobie?

Hubert Hanghofer hhanghof at netbeer.co.at
Son Okt 29 18:57:50 CET 2000


Liebe Braugemeinde,

   meine Einstellung zum Thema Desinfektion ist einfach erklärt: ich bin 
Mikrobenkiller, Artenschutz beschränkt sich bei mir nur auf Kulturhefen, 
da kenne ich keine Gnade und mache -abgesehen vom gelegentlichen Lambic 
brauen- keine Ausnahmen! Ich komme viel herum und habe schon viel zu viele 
Hausbräu Biere mit sogenanntem "Hausgeschmack" verkostet.

Es ist ganz einfach eine Frage der Risikobereitschaft. Für mich ist ein 
infizierter Sud unter 20 schon einer zu viel ...und wer sich einmal durch 
Nachlässigkeit eine handfeste Infektion in seiner Brauerei eingefangen 
hat, der weiß, wovon ich rede! Das Problem, eine manifestierte 
Brauereiinfektion wieder zu eliminieren, hat nicht wenige Hausbrauer schon 
zum Aufgeben gezwungen! Schade -- dazu ist unser Hobby einfach zu schön...

Was die historischen Aspekte betrifft:
Chlorkalk wurde schon vor über 100 Jahren verwendet, anfänglich nur zur 
Raumdesinfektion, später für metallische Sudgeräte. Das Schwefeln 
(ausräuchern mit SO2) von Fässern für die Bier und Weinbereitung wurde von 
Heiss 1850 als etablierte Methode beschrieben. Die Brauer wußten damals 
schon beachtlich viel über Chemie. Interessante Anekdote: Gewissenhafte 
Brauer achteten darauf, nur sizilianischen Stangenschwefel vulkanischer 
Herkunft zu verwenden, weil der in Deutschland aus Schwefelerzen gewonnene 
Arsen enthielt, welches laut Heiss "...die Ursache des unausstehlichen 
Kopfschmerzes ist, den selbst gewohnte Biertrinker nach dem mäßigen 
Genusse mancher dieser Biere empfinden..."
Weiters gab es noch Desinfektions-Techniken wie Ausbrennen, Dämpfen, 
Kochen etc.

Desinfektionsmittel oder -Techniken waren sicher nicht allgemein 
verbreitet und wurden vermutlich auch nicht mit der heute üblichen 
Konsequenz angewendet. Ausserdem nimmt der betrachtete Zeitraum nur einen 
Bruchteil der gesamten Biergeschichte ein. --Dennoch wird niemand 
abstreiten, daß der Großteil der heute beliebten Biertypen bzw. -Sorten 
erst in den letzten 150 Jahren geboren wurde oder zumindest seine 
Ausprägung erfuhr. Ich glaube kaum, daß "Urbier" unseren heutigen 
Geschmack treffen würde.

Noch im 19. Jahrhundert wurden die obergärigen "weißen Sommerbiere" nur 1 
Woche nach dem Sud zum Ausschank gebracht und waren für den alsbaldigen 
Verschleiß bestimmt. Die allgegenwärtigen Milchsäurebakterien waren in der 
Hefe enthalten und nur durch möglichst kalte Gärführung bzw. Lagerung in 
Verbindung mit erhöhten Hopfengaben unter Kontrolle zu halten. Unter 
solchen Bedingungen dominiert die Hefe in der Gärung, während der Lagerung 
- besonders bei höheren Temperaturen - übernehmen dann die Lactobazillen. 
Das Bier erhält durch die Milchsäure zunächst eine angenehme Rezenz und 
erhöhte Bekömmlichkeit, kippt dann aber nach kurzer Zeit um.

Als historisches Beispiel für die Wichtigkeit einer reinen Gärung möchte 
ich den Anfang des 19. Jahrhunderts begonnenen Siegeszug der Lagerbiere 
(Pils, Märzen, Export, Helles...) anführen. Durch die kalte Gärführung 
bzw. Lagerung bei (seinerzeit noch) erhöhter Hopfengabe wurden die 
Bedingungen für eine natürliche Reinzucht geschaffen. Milchsäurebakterien 
konnten gegen die untergärige, kalte Temperaturen tolerierende 
Betriebshefe nicht aufkommen. Diese Biere hatten zweifelsohne einen 
reineren Geschmack und das dürfte der Hauptgrund für den Erfolg gewesen 
sein. 

Ein Freund von mir hat keine Desinfektionsmittel verwendet und gute 
Lagerbiere hergestellt, dabei sogar die Hefe mehrfach geerntet. Die 
Hauptgärung führte er stets unter 8°C, die Lagerung in Kühlschränken. Bier 
und Hefe wurden nie Temperaturen über 8°C ausgesetzt. Wenn die Kühlkette 
z.B. während der Lagerung aus Kapazitätsgründen unterbrochen wurde, bekam 
er fast immer Qualitätsprobleme. Als er zur Abwechslung eine warme 
Obergärung durchführte, entwickelte sich sofort eine massive Lactobazillen-
Infektion.

Rückstellproben biologisch einwandfreier Hausbräu-Biere lagere ich über 
mindestens 2-3 Monate ohne Probleme bei Kellertemperaturen (15°C). 
Praktisch immer macht sich vor einer Infektion ein Alterungsgeschmack 
bemerkbar. "Biologisch aktive" Biere kann man bei solchen Bedingungen nach 
spätestens 2 Wochen vergessen.

...Alles eine Frage der Risikobereitschaft ...und der Kühlkapazitäten!!! 

Allzeit gut Sud!
Hubert