[HBF] Re: Wie entlueften? / Problemlose Karbonisierung!

Hubert Hanghofer hhanghof at netbeer.co.at
Son Sep 17 18:10:13 CEST 2000


Liebe Braugemeinde,

Torsten Spellerberg hat gleich zu Beginn seiner Brauerkarriere eine 
wichtige Erfahrung gemacht:
 
> Ich fürchte nun, daß wir das Bier zu schnell auf Flaschen gezogen
> haben (Nein, wir haben keine Schnellvergärungsprobe gemacht, ja
> 4,5%P waren bestimmt noch zuviel).
 
> Beim Entlüften am Dienstag ist mir auch prompt eine Flasche durch
> die Küche gespritzt. Im Moment drücke ich täglich ein wenig an den
> Bügel-
> verschlüssen bis etwas Luft entweicht und versuche aufzuhören, bevor
> Schaum kommt.

Das leidige Problem kennen wir wohl alle. Deine Entlüftungsmethode ist 
prinzipiell ok. Du könntest die Flaschen abkühlen und prüfen, ob das Bier 
dann noch überquillt. Wenn nicht, kannst Du den Bügel entspannen und die 
überschüssige Kohlensäure langsam entweichen lassen. Wenn es jedoch auch 
in der Kälte überquillt, bringt das nichts, da man nur kurz den Überdruck 
ablassen kann und der ist - aufgrund der besseren CO2-Löslichkeit - in der 
Kälte geringer als bei Raumtemperatur. Mit anderen Worten: man bringt pro 
Entlüftung weniger CO2 raus.

Viele Brauer neigen dazu, lieber etwas zu früh abzufüllen und eine zu hohe 
Karbonisierung dann durch Entlüften abzubauen. Wenn das Bier jedoch 
wirklich überkarbonisiert, wundern sich viele, daß es mit ein paarmal 
Entlüften nicht geregelt ist!

Warum ist das so?

Nehmen wir an, wir haben mit 8,3 g CO2 / L ein Weizen knapp 
überkarbonisiert. Bei entsprechender Kaltkonditionierung müßte dieser 
Kohlensäuregahalt gerade noch zu binden sein, aber besonders bekömmlich 
ist so ein "Gasbier" nicht unbedingt. Bei O°C und 8,3g/L würde sich 
jedenfalls ein Überdruck von +1,6 bar und bei 20°C ein Überdruck von 
beachtlichen +4 bar einstellen!

Der Kopfraum einer 0,5L Bügelverschluß-Flasche hat je nach Füllung 20-
30mL. Rechnen wir mit 25mL, so entweichen beim Entspannen +4bar Überdruck 
(20°C), also 4 x 25 mL = 100 mL = 0,1L CO2. 1L CO2 wiegt knapp 2g 
(1,977g/NL), also bauen wir beim Entlüften 0,10 x 2 = 0,2 g CO2 ab. Das 
sind hochgerechnet auf 1 Liter immerhin 0,4 g/L.

Wenn die gelöste Kohlensäure mit dem Kopfraum wieder im Gleichgewicht 
steht (was nach meinen Erfahrungen einige Tage dauern kann), bleiben also 
7,9g/L und ein Überdruck von "nur mehr" +3,7bar. Setzen wir diese 
Berechnung fort, erhalten wir folgende "Entlüftungsreihe":

3. 7,5g/L +3,5 bar
4. 7,2g/L +3,3 bar
5. 6,9g/L +3,1 bar

nach der 5. Entlüftung sind wir "schon" bei weizentypischen 6,5g/L und 
+2,9 bar Überdruck angelangt. Dieses Beispiel gilt wohlgemerkt für eine 
knappe Überkarbonisierung und für den Fall, daß man die Einstellung des 
Druckgleichgewichtes immer abwartet, was ohne die Flaschen zu schütteln 
aber tagelang dauern kann. Erfahrungsgemäß benötigt man daher bei 
täglicher Entlüftung mind. doppelt so viele Entlüftungen.

Daher empfehle ich jedem Einsteiger immer, wenigstens die ersten Sude 
ausgären zu lassen und mit einer genau bestimmbaren Menge Zucker, 
Trockenmalzextrakt oder auch Speise zu karbonisieren. Grün schlauchen 
eignet sich in erster Linie für die Faßabfüllung mit Spundung 
(automatische Regelung eines einstellbaren Überdrucks).

Mal ganz ehrlich, selbst Profis schaffen es nicht immer, eine präzise 
Karbonisierung beim grün Schlauchen in Flaschen zu erzielen! Zu gravierend 
sind die Auswirkungen selbst kleiner Meßfehler oder falscher Annahmen 
(z.B. Restextrakt nach Endvergärung anhand vorzeitig ausgewerteter 
Schnellgärprobe zu hoch festgelegt). Wer immer die gleichen Biere braut, 
wird das rasch in den Griff bekommen. Wer aber gerne mit verschiedenen 
Malzschüttungen, Maischverfahren und Hefen experimentiert, wird zumindest 
gelegentlich seine Probleme mit dem grün Schlauchen haben!



Speise, Malzextrakt oder Zucker andererseits lassen sich präzise abmessen. 
Lediglich die Endvergärung muß man geduldig abwarten. -Wer ganz sicher 
gehen will, schlaucht nach Abklingen der Hauptgärung in einen mit 
Gärröhrchen verschlossenen Nachgärbehälter um und kann dann streßfrei 
ausgären lassen. Wenn keine Kohlensäure mehr entsteht und die Hefe 
geflockt und sedimentiert ist, wird das nunmehr naturgeklärte Bier auf 
Flaschen gezogen. Speise, Malzextrakt oder Zucker werden entweder in die 
Flaschen vordosiert oder in einem Abfüllbehälter (z.B. im zwischenzeitlich 
frei gewordenen Hauptgärbehälter) vorsichtig eingemischt. Die einzigen 
Nachteile dieses Verfahrens sind der zusätzliche Gärbehälter und die 
Tatsache, daß endvergorenes Bier zu wenig aktive Hefezellen enthält, um es 
vor Oxidation zu schützen (für die Karbonisierung reichts aber 
erfahrungsgemäß)! Tatsächlich werden viele ursprünglich tadellosen Biere 
durch Lufteintrag beim Abfüllen geschädigt, dieses potenzielle Problem ist 
also sehr ernst zu nehmen!

Lösungsvorschläge:
Flaschenfüllrohr verwenden.
Abgekochte Extraktlösung oder Speise in Flaschen vordosieren, dadurch kein 
Einmischen von Luft.
Wird der Extrakt jedoch in einem Abfüllbehälter vorgelegt, das Jungbier 
mit einem ausreichend langen, eintauchenden Schlauch draufschlauchen und 
vorsichtig einmischen oder - besser noch - durch Einperlen von CO2 mit dem 
Extrakt vermengen.

Beispiele für benötigte Extraktmengen nach VOLLSTÄNDIGER ENDvergärung:
(Quelle: Excel Brauplaner & ein "wenig" Erfahrung)

normale Karbonisierung auf 5 g/L, abfüllen bei 20°C:
Zucker: 6,4 g/L
Trockenmalzextrakt: 8,5 g/L 
Speise: 7 vol %

normale Karbonisierung auf 5 g/L, abfüllen bei 4°C (nach Kaltlagerung):
Zucker: 4,2 g/L
Trockenmalzextrakt: 5,6 g/L
Speise: 4,9 vol %

hohe Karbonisierung auf 6,5 g/L, abfüllen bei 20°C (z.B. Weizen):
Zucker: 9,2 g/L
Trockenmalzextrakt: 12,2 g/L
Speise: 10 vol %



Allzeit gut Sud
Hubert